Georgien Teil 1

Viel Wasser, Tiger, BMW & Co

Er bringt uns die Sonne für kurze Zeit
Er bringt uns die Sonne für kurze Zeit

Gleich hinter der Grenze treffen wir einen italienischen Radler. Natürlich unterhalten wir uns, denn ein Austausch unter Individualreisenden ist immer interessant. Er möchte von uns gerne einen bestimmten Weg wissen. Da ich eine Karte habe, kann ich ihm helfen. Wir möchten wissen, was sein Radelweg ist und war? Er war im Iran, Armenien und will nun einige Klöster in Georgien besuchen. Ab da reden wir hauptsächlich nur noch vom Iran. Armenien hat ihm nicht gefallen, sagt er zum Abschied. Und auf Georgien sei er nun gespannt.

Der Italiener hat uns die Sonne gebracht. Zumindest gilt dies für die nächsten Stunden. Wir genießen die strahlende Wärme. Der Sonnenschein macht alles gleich viel sympathischer. Da gehen dann plötzlich auch die Beine wieder schneller, die Landschaft zeigt sich von der schönsten Seite und die Blümchen am Wegesrand scheinen dies durch nicken ihrer Knospen zu bestätigen.

Sonnenstunden
Sonnenstunden

Doch nur wenige Stunden später beginnt erneut der Himmel zu weinen. Gi hat vorbildlich, somit vorsorglich wie immer, vorgesorgt. Ich bekomme eine blaue Mülltüte verpasst. Diese Mülltütenlösung haben wir vor Jahren in Südostasien gesehen. Seit dieser Zeit schwört Gi auf diese billige, und ihrer Meinung nach, geniale Lösung. Zumindest bleibt man halbwegs trocken, denke ich immer. Die Tütengröße haut nicht so recht hin. Statt 80 Liter wären 120 Liter weit schützender gewesen. Schön sieht das Teil außerdem nicht aus. Muss man aber immer schön aussehen?  

Mülltüten-Wi
Mülltüten-Wi

Trotz Regen und vieler grauer Wolken, sehen die ersten Ortschaften in Georgien recht sonnig aus. Die letzten Wochen haben uns ja diesbezüglich nicht unbedingt verwöhnt. So sind wir dankbar für die ersten Blumengärten, auch die ersten Blumenkästen an den Fenstern, für meist freundliche Blicke und auch für so manche Rückantwort nach längerer Zeit.

Bis Tiflis sind es nur um die hundert Wanderkilometer. Ungefähr 50 davon verbringen wir im Regen. Oft ist er so gewaltig, dass auch meine Mülltüte viel Mühe hat. Über schön denke ich da nicht mehr nach. Ich dampfe unter der blauen Haut, wische ständig Regentropfen vom Gesicht und versuche den größten Pfützen auszuweichen. Dies gelingt nicht immer. In solchen Situationen stelle ich mir vor, dass es in wenigen Minuten zu regnen aufhört. Wenn nicht, dann haben wir zumindest am Abend eine trockene Unterkunft. Wenn nicht, so hört es am nächsten Tag zu regnen auf. Wenn nicht, so haben wir am nächsten Tag zumindest am Abend eine trockene Unterkunft. Wenn nicht?

Ich will zurück in die Wüste, und zwar sofort, schreie ich dann durch alle Regentropfen vor meinem nassen Gesicht. Es hallt dabei immer bis zu den dunklen Wolken rauf.

Armenische Begrüßung
Armenische Begrüßung

Tiflis begrüßt uns auf armenische Art. Über Kilometer begleiten uns die unschönen Wohnblocks. Die Hauptstraße wird auch gerade neu bearbeitet. Schlagloch folgt auf Schlagloch. Nicht schon wieder Endzeitstimmung, spukt es mir durch den Kopf. Doch die kommt leider auf uns zu.

Ein Auto, total mit Schlamm verschmiert, steht am Straßenrand. Weitere folgen. Was ist hier nur los?

Vor Tagen hat der Regen leider fürchterliches angerichtet. Ein Nebenfluss der Kura konnte die Regenmassen nicht mehr fassen. Das Unglück war leider nicht mehr zu stoppen. Über Erdrutsch, Überschwemmung, Tode und Vermisste ist in den Nachrichten noch lange zu hören und zu sehen.

Wir waren schon viel in der Welt unterwegs. Die Fragen der Familie, von Freunden und Bekannten, waren da auch immer zu mögliche Gefahren während unserer Touren ausgerichtet. Natürlich kann einem unterwegs etwas passieren. Doch die Gefahren sind letztendlich nicht größer als zu Hause. Dies denke ich zumindest immer. Man sucht ja genau, wie zu Hause auch, nicht die Gefahr. Über kalkulierbare Gefahren informiert man sich vorher, wiegt ein eventuell bestehendes Risiko, Restrisiko ab, bereitet sich gedanklich darauf vor und trifft Vorkehrungen. Der weitere Rest ist dann irgendwie auch Schicksal, egal ob unterwegs oder in der Heimat. Ein Erdbeben, einen Tsunami, einen Erdrutsch, eine Feuersbrunst, eine Überschwemmung, einen Verkehrsunfall und vieles mehr, kann man nicht vorhersehen.


Für die Boulevardpresse und dem Sensation-TV sind die Opfer von Tiflis recht schnell Nebensache. Die Überschwemmung hat nämlich auch den Zoo von Tiflis zerstört. Die Tiger sind dabei ausgebrochen. Ein gefundenes Fressen für die Medien. In der Stadt brach sogleich Hysterie aus. Kein Wunder, denn Straßen und bestimmte Randgebiete der Stadt wurden gesperrt. Egal wo ein Fernseher lief, immer schauten einem Tiger aus der Mattscheibe an.

Gi ist bei dem Gedanken, einen Tiger in der Stadt zu begegnen, recht Unwohl. Also gebe ich mein Bestes um sie zu beruhigen.

Liebling, Tiflis hat über eine Million Einwohner. 3, 4 vielleicht 5 Tiger - keine Ahnung wie viele es überhaupt wirklich sind - sind irgendwo da draußen. Vielleicht sind die sogar schon in der Zwischenzeit nach Armenien oder die Türkei ausgebuchst. Wenn nicht, denkst du wirklich, die fressen täglich hunderte von Leuten?

Wi, natürlich fressen die keine hunderte von Leuten. Langt ja aber ein Leut Namens Gi.

Liebling, ich habe als kleiner Junge einen russischen Film gesehen, sogar mehrmals gesehen, denn der war echt gut. Der hieß: Rette sich wer kann (den Film gibt es wirklich!). Da sind auf einem Schiff, ich betone Schiff, die Tiger ausgebrochen. Die Tiger wollten da nur die Männer fressen. Die Schiffsköchin hat die Tiger alle wieder eingesammelt. Ich betone die Köchin, also eine Frau. Was ich somit damals schon gelernt habe, mehrmals gelernt habe, Tiger fressen keine Frauen.

Wi, du bist ein absoluter Spinner.

Mag sein Gi, doch kennst du wirklich eine Frau, die von einem Tiger gefressen wurde?

In einer der vielen Kirchen ...
In einer der vielen Kirchen ...

In einer der vielen Kirchen von Tiflis findet ein Gedenkgottesdienst für die Opfer der Überschwemmung statt. Wie immer kauft Gi einige Kerzen. Sonst sind diese für liebe Menschen die wir weltweit kennen gedacht. Diesmal sind unsere Gedanken auch bei den Opfern von Tiflis.

Ja, die Welt kann sehr Ungerecht sein. Hier gibt es Wasser ohne Ende. Wasser tötet im Extremfall sogar. In anderen Ländern gibt es oft fast kein Wasser. Dort kann der Wassermangel im Extremfall töten. Manchmal wünsche ich mir, dass jemand (was machen nur unsere Götter?) die Welt in einen Mixer wirft, ordentlich durchmixt und somit alle Extreme etwas angenehmer für die Menschen werden.  

Gedanklich bei den Opfern
Gedanklich bei den Opfern
Braune Kura
Braune Kura

Tiflis selbst ist keine unangenehme Stadt. Auch wenn man noch nie hier war, merkt man irgendwie die Veränderungen der letzten Jahre, denn überall wird gebaut, gewerkelt und modernisiert. Wir nutzen zur Stadtübersicht die Seilbahn. Von weit oben ist unverkennbar die braune Kura erkennbar. Das braune Wasser ist dem Unwetter geschuldet. Da wo die Seilbahn sich flott nach oben zieht, liegt unter den Gondeln die Altstadt. Wir lieben Altstädte. Nicht nur wegen meiner Höhenangst, benutzen wir deshalb für den Rückweg den neu angelegten Fußweg bergab. Es tut gut durch diese Altstadt zu schlendern, denn ich mag es immer sehr, mit Daumenzeig, Kopfnicken oder kurzen Gesprächen, den Anwohnern meine Anerkennung rüber zu bringen. Und da gibt es einiges. Die Gässchen sind meist frisch gepflastert, mancher blumengeschmückter Balkon frisch gestrichen und rötlich glänzende Ziegel zieren nun nach ehemaligen Blechverkleidungen, die meist neuen Dächer. So manches Haus ist gefährlich an Schluchtenwänden gebaut. Ich hoffe nur, sie werden nicht irgendwann auch zur Gefahr.

Gefährlich schön?
Gefährlich schön?
Das Leben geht weiter
Das Leben geht weiter

Das Wetter passt und die Tifliser, genau wie wir, ignorieren die Tigergefahr. Man lässt sich ja auch von Tigern den Hochzeitstermin nicht

ver-katzen. Wenn Georgier feiern, dann lassen sie es ordentlich krachen. Es wird nicht auf die Knete geschaut. Gi bewundert dabei immer die Damenschuhwelt. Eigentlich sind es keine Schuhe. Es sind Eifeltürme der Eitelkeit. Ich würde mir die Hacken brechen. Es sind ja aber nicht meine Hacken. Und was ich noch denke? Zu manchen langen Beinen passen die Eifeltürme wie angeboren, wie zwingend nötig.

Zum Krachen gehört die Ultralanglimousine, die geschäftigen Mobiles, das Kamerateam für die Unvergesslichkeit und die gesteilten Roben für genau diesen Tag. Ich finde dies alles, auch wenn es nicht meine Welt ist, nicht dekadent, auch wenn manches zudem nach viel Geld stinkt, nach Schulden riechen kann oder die Mafia eventuell Pate steht. Ein Land im Aufbruch kommt da für mich rüber, ein Land in Findung, ein Land mit unendlich erscheinendem Nachholbedarf. Eine Spielwiese ist am Beginn ihrer Blütezeit.

Traumerfüllung
Traumerfüllung

Nicht alle Blüten muss man auf Anhieb verstehen. Doch so manch eigener Zwiespalt kann zum Genuss werden. Was bin ich zuerst geschockt, dann erstaunt und später auch fasziniert, als mir die 3 Männer versuchen zu erklären, warum der BMW wichtiger als das eigene Haus ist, warum für den Münchner Motor ein vielfaches mehr bezahlt wurde als die Renovierung oder der Neubau der Holzhütte kosten würde und warum man dies fast täglich erneut mit reichlich Bier begießen muss?

In dem Haus leben sie schon ewig, sagen sie. Das Holzhaus kennen sie. Es wird noch Jahre halten, stehen bleiben am alten Platz. Ihre Gewohnheit verlangt keine Veränderung.

Das man selbst ein Auto besitzen kann, wissen sie, seit der Russische Bär Georgien verlassen hat. Das es ein BMW sein wird, wagten sie nicht zu träumen. Bier bedeutet, dass der Traum keine Täuschung ist. Bier hilft unheimlich beim Verstehen der Traumerfüllung, sagen sie.

Ich freue mich mit ihnen. Geteilte Freude muss ja nicht immer meine eigene Welt bedeuten.

Zeit zum Spiel
Zeit zum Spiel

Die Georgier haben auch Zeit zum spielen. Ob Schach, Domino oder Kartenspiele. Es wird viel gespielt. Auch dies freut mich ungemein, denn wer Zeit zum spielen hat, hat kaum Sorgen, hat zumindest weit weniger Sorgen oder kann die Sorgen für Minuten, Stunden oder gar Tage parken. Armenier habe ich leider nicht spielen gesehen.

Natürlich ist Georgien auch kein neues Goldgräberland. Doch sieht man in so manchem georgischen Gesicht Zuversicht, ein wachsendes Selbstwertgefühl und die Lust, auf der sich anbietenden Spielwiese, unterwegs zu sein.

Ein netter Mann in einer Touristinformation erklärt uns, Jahre habe wir auf Touristen gewartet. Jetzt beginnen all die Bemühungen langsam Früchte zu tragen. Immer mehr Franzosen, Italiener, Spanier und auch Russen besuchen unser schönes Land. Sehnsüchtig warten wir auf mehr Deutsche. Diese würden wir gerne gegen die Russen eintauschen, denn der KGB (russischer Geheimdienst) hört noch immer mit.  

Der KGB hört mit
Der KGB hört mit

Geheim ist unsere weitere Route natürlich nicht. Von Tiflis werden wir bis zum Schwarzen Meer nach Batumi laufen. Von Batumi ist es nur noch ein Katzensprung bis zur türkischen Grenze. Doch davon erzähle ich dann erst im nächsten Bericht.


Bis dahin,

liebe Grüße, von Wi + Gi + Toyota

 

Wanderkilometer bis Tiflis:                                   ca. 100 km

 

 

Gesamtwanderkilometer bisher:                         ca. 4.555 km                   Stand:     Ende Juni 2015

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