Türkei zurück - Entlang der Schwarzmeerküste
Wir sind noch keine 5 Stunden auf türkischen Boden unterwegs, da werden wir eingeladen. In der nächsten Ortschaft möchte sich der Mann mit uns am Abend in einem Restaurant treffen. Da wir nicht so recht Lust darauf verspüren, lehnen wir höflichst ab. Dem netten Mann erklären wir, wir wissen nicht ob wir am Abend noch vor der Ortschaft, in der Ortschaft oder schon viel weiter sein werden. Irgendwie versteht er es.
Wenn ich ehrlich bin, wir wollen an den Abenden am liebsten immer unsere Ruhe haben, selbst was köcheln, den Sonnenuntergang genießen und recht bald schlafen, denn unser Körper verlangt regelrecht danach.
Auch vermuten wir recht schnell, dass die Küstenstraße für diesen erwünschten Ablauf geradezu für uns erschaffen wurde. Wir täuschen uns nicht. Die nächsten Wandertage bis nach Trabzon vergehen, bis auf wenige Ausnahmen, im idealen Gleichklang mit unseren Vorstellungen.
Die Strecke ist ideal dafür. Täglich laufen wir über 30 Kilometer. Es gibt keinen Anstieg der bremsen würde. Die Temperaturen können nicht wanderfreundlicher sein. Zwischen 20 und 25 Grad bewegen sich die Zahlen.
Wenn es nieselt, dann immer nur links von uns, nämlich in den nahen Bergen. Der leichte, fast tägliche Bergregen lässt den Reichtum der türkischen Küste sprießen. Teeplantagen ist das Zauberwort. Über gut 150 Kilometer laufen wir an Teeplantagen vorbei. Danach folgen die Hasel-nussplantagen bis Trabzon. Zwischen den Plantagen wurzeln große Farne, Essigbäume und vereinzelt undurchdringlich erscheinender Küsten-Dschungel.
Die Dörfer und Kleinstädte entlang der Strecke folgen entfernungsmäßig idealer Platzierung. Jede Kleinstadt, jedes Dorf hat mindestens einen BIM (der Aldi der Türkei) und einen 101 (der Lidl der Türkei). Dort kaufen wir unser frisches Brot, Obst, Gemüse, Milch, Nudeln, Nussschokolade und manch andere Schleckerei. Lagerplätze für die Nacht finden wir immer recht schnell. Die meisten sind fast paradiesisch zu bezeichnen.
Schon während unserer Laufstrecke sammeln wir Holz. Davon brauchen wir nicht viel. Es muss nur für den Kaffee und das Abendessen Glut erzeugen. Vor Sonnenuntergang entzünde ich ein kurzes Feuer. Auch wenn wir uns immer sicher fühlen, so lösche ich doch immer mit Untergang der Sonne das kleine Lagerfeuer. Feuer ist halt weit sichtbar. Wir mögen die Unsichtbarkeit.
Es wäre natürlich gelogen, würde ich behaupten, dass jeder Lagerplatz ideal ist. Die Küste ist über weite Strecken von großen Felsen belagert. Grober Kieselstrand liegt meist zwischen den Felsbuchten. Wir übernachten an solchen Abschnitten meist in einem der vielen Picknickparks. An einem Abend wählen wir jedoch eine Unterführung. Der Platz ist garantiert nicht das Paradies, doch einen Vorteil hat die Auswahl, sollte es ja in der Nacht regnen, dann können wir um wenige Meter einfach ins Trockene umziehen.
Verlässt man am nächsten Morgen solch einen unromantischen Platz, versüßt sofort die Natur den weiteren Weg. Überhaupt gibt es ständig viel zu sehen, zu beobachten und zu bestaunen. Solche spannungsgeladenen Strecken haben den Vorteil, dass das Wandern unheimlich Freude bereitet, die Füße nur so über den Asphalt huschen und man am Abend selbst über die gelaufenen Kilometer erstaunt ist. Kurz vor Trabzon male ich stolz die 5000 km in den Sand.
Fünftausend Wanderkilometer liegen da hinter uns. Wir können es selbst nicht so richtig glauben.
Wir mögen auch die größeren Städte entlang der Küste. Dies besonders für die Küstenstädte Rize und Trabzon. In diesen größeren Städten suchen wir uns ein Billigzimmer. Suchen ist der richtige Ausdruck, denn wir schieben da Toyota meist sehr lange durch Gassen, über prall gefüllte Straßen, an Teebuden vorbei, über Plätze und schaffen es irgendwann. Die Billigzimmerkategorie versteckt sich nämlich meist im unendlich erscheinenden türkischen Großstadt-Gewirr.
In Trabzon erleben wir das Ende vom Ramadan. Die Straßen sind mit Menschenmassen gefüllt.
Weihnachten und Ostern fallen sozusagen am Ramadanende auf einen Tag. Die Freude bei den Menschen ist groß. Die vielen Einladungen zum Tee nehmen wir da natürlich gerne an. Wir freuen uns gemeinsam, unterhalten uns dabei auch oft über Gott und die Welt. An einer Moschee beobachte ich 4 Männer. Es scheint ihr Stammplatz zu sein. Sie reden, reden und reden.
Keiner hat ein Handy. Da muss ich mich ja eigentlich nicht wundern, dass sie ständig reden. Von einem der Männer werden wir später zum Tee eingeladen. Da auch wir kein Handy dabei haben, reden auch wir beim Tee recht viel.
77 Jahre ist unser Teespendierer alt. Früher hat er bei der Post gearbeitet. Morser- Nachrichten hat er übermittelt. Muss wirklich schon lange her sein. Da gab es noch keine Handys. Dann hat er für eine französische Firma gearbeitet. Deswegen spricht er auch relativ gut Französisch. Er fragt uns, ob wir seine Schwarzmeerküste mögen. Natürlich mögen wir sie. Wir mögen die Landschaft und die Menschen an seiner Küste, versichern wir ihm. Da lächelt er.
In den letzten 20 Jahren hat sich hier viel geändert. Vieles ist besser geworden. Dabei erzählt er uns von neuen Straßen, Tunneln, den Häusern und den vielen Parkanlagen.
Und durch Erdogan ist in den letzten Jahren alles noch viel moderner geworden. Er liebt Erdogan, sagt er mit leuchtenden Augen. Erst eine Woche ist er aus dem Krankenhaus zurück. Er wurde operiert. Eine Woche musste er im Krankenhaus bleiben. Keine Lira musste ich bezahlen, sagt er uns stolz.
Das einzige was ihm stört, ist, dass noch immer viel Müll mit den Flüssen ins Meer gelangt und das es seine Landsleute überhaupt mit dem Müll nicht so genau nehmen.
Ich bin überrascht. Da sagt uns ein 77 jähriger was ich eigentlich von jungen Menschen gerne hören würde. Er ist der erste Türke, der überhaupt bisher das Wort Müll in den Mund genommen hat. Leider wird er auch der einzige bleiben.
Von Trabzon aus besuchen wir per Anhalter das Sumelakloster in den nahen Bergen. Das Kloster hatten wir vor ca. 20 Jahren mit unserem damaligen Camper besucht. Es hatte uns gefallen. Deswegen der erneute Besuch.
Wir sitzen kaum in einem Auto, haben die ersten Bergkurfen hinter uns, beginnt es zu regnen. Vom großen Parkplatz kraxeln wir den Schlangenformweg hoch. Wir kommen dabei ordentlich ins schwitzten. Doch es macht Spaß. Ständig versuchen wir durchs viele grün das Kloster zu erspähen. Dichter Nebel liegt am Berg. Erst auf den letzten Anstiegsmetern erblicken wir schemenhaft die ersten Klostermauern. Wie eine verwunschene Festung wirken sie auf uns.
Die meisten Klöster weltweit liegen an echt romantischen Plätzen. Auch dieses wirkt wie ein Adlernest an hohem Berghang. Romantisch ist da aber immer auch gleichzusetzen mit Abgeschiedenheit.
Das Sumelakloster liegt immerhin auf über 1000 Meter Höhe, wurde bereits im 500 Jhd. erbaut und war ein griechisches Kloster. Die Griechen mussten das Kloster 1926 verlassen. Sie waren nicht die einzigen Griechen, welche das muslimische Land verlassen mussten. An der Mittelmeerküste zogen ganze Dorfgemeinschaften gen Griechenland. Übrigens zogen da im Gegenzug auch ganze türkische Dorfgemeinden gen Türkei. Ein unfreiwilliger Umzug war da beidseits im Gange.
Bei unserem ersten Besuch war noch vieles in der Klosteranlage dem Verfall preisgegeben. Was mir auffällt? Damals gab es hier keine Polizei. Jetzt steht an jeder Ecke ein Bewaffneter.
Die Welt ist leider in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Auf der einen Seite geben einem genau diese Polizisten ein Sicherheitsgefühl. Überall in der Türkei, vom kleinsten Dorf bis zur Großstadt, sind die Hüter der Ordnung rund um die Uhr unterwegs. Auf der anderen Seite hat diese mächtige Präsenz natürlich auch mit dem weltweit zunehmenden Terrorismus und auch oft mit innerpolitischen Problemen zu tun. Das eigene Sicherheitsgefühl beginnt, bei dieser zu sehenden Übermacht an Ordnungskräften, zu straucheln. Man fragt sich dann, was ist hier los?
Tourismus ist für viele Länder eine erquickliche Einnahmequelle. Nur ein Anschlag lässt diese Quelle für Jahre versiegen.
In der Türkei rumort es schon länger. Es gibt die zunehmenden Probleme an der Grenze zu Syrien und Irak. Die Isis-Verbrecher treiben vermehrt ihr Unwesen im Land. Auch flammt regelmäßig die Kurdenproblematik erneut auf. Diese politisch innertürkischen Probleme verschmelzen kurz nach dem Ramadan zu einer gefährlichen Einheit. Wir bekommen am Rande mit, es gibt die ersten Isis Anschläge in der Türkei und seit längerer Zeit auch wieder tote Polizisten durch PKK Anschläge. Der türkische Staat schlägt zurück. Auf Isis und PKK Stellungen werden Bomben abgeworfen. Und in Kurdistan selbst ist die Luft recht explosiv.
An der Schwarzmeerküste sehen wir täglich mindestens einen Radler, oft sind es auch zwei aus Europa. Früher war durch türkisch Kurdistan die klassische Radelstrecke um in den Iran zu gelangen. Was sagt mir das? Auch die vielen Fernradler sind vernünftigerweise ihrem Bauchgefühl gefolgt, momentan die landschaftlich herrliche Strecke durch Kurdistan zu meiden. Unsere eigene Entscheidung, über Armenien, Georgien und dann entlang der Küste, zurück nach Kappadokien zu laufen, war nicht unbedingt falsch.
So laufen wir weiter entlang der Küste bis Unye. Auf dem Wanderweg dahin, sehen wir die ersten kleineren Sandstrände. In Unye zeigt uns ein Schild den Abzweig rauf in die Berge. Wir laufen jedoch einfach geradeaus weiter, denn noch eine Nacht wollen wir am Schwarzen Meer verbringen. Am Abend nehmen wir gedanklich Abschied von der Küste. Sie hat uns sehr gut gefallen.
Am Morgen suchen wir erneut den Abzweig rauf in die Berge. Am Ortsausgang kaufen wir Obst und Wasser. Der Ladenbesitzer sagt uns, von hier fährt ein Bus rauf in die Berge. Danke, sagen wir, doch wir wollen laufen. Er schaut uns kurz an, schüttelt mit dem Kopf und verschwindet im Laden.
Der Weg rauf auf die anatolische Hochebene wird schweißtreibend. Wir wissen es vorher. Und wir wollen es ja so. Dies kann der nette Schüttelkopf natürlich nicht wissen.
Vom schweißtreibenden Weg rauf in die Berge, erzähle ich aber erst im nächsten Bericht.
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