Schon auf der Fähre wundern wir uns. Da die Fähre sehr klein ist, mangelt es an Platz für Smily und Toyota. Türkische Männer helfen uns S&T zu verladen. Auch werden uns die Türen aufgehalten, Plätze zugewiesen und dies alles mit freundlichen Lachgesichtern. So viel freundliche Herzlichkeit haben wir schon lange nicht mehr erlebt. In Cesme wundern wir uns dann erneut. Die Unterkunftspreise starten bei 100,- Euro pro Nacht. Nicht verlesen! Es ist Ramadanende und die wichtigsten Feiertage der Türken fallen halt leider mit unserer Anlandung zusammen. Zudem ist Cesme ein Nobelbadeort für den internationalen Tourismus. Somit nicht unbedingt geeignet für Wagelschieber. Also schieben wir gleich weiter.
Während der 3 Wandertage bis Izmir, lernen wir staunend weiteres. Wanderer haben ja ständig mächtigen Hunger. Unser 2. Frühstück nehmen wir ab Cesme immer in einer der zahlreich vorhandenen Dinlemner (Raststätten) an unserer Strecke ein. Wir fühlen uns dabei immer königlich bewirtet, denn es fehlt uns an nichts. Spiegeleier, Brot, Butter, Gurken, Tomaten, Käse, Kaffee, Tee, kaltes Wasser, Jogurt, Marmelade und man staune, Honig garnieren unsere Tafel. Gi süßt ihren Tee immer mit Honig. Soll ungemein Kraft geben, behauptet sie fast täglich. Das 2.Frühstück wird ab da ein regelrechtes Ritual. Zugegeben, manchmal Frühstückdinieren wir auch erst nach 12.00 Uhr. Die Kalorien reichen dafür dann immer bis zum Abend.
In den nächsten Wochen werden wir uns noch täglich wundern. Es sind meist Wunder voller schöner Überraschungen. Nur sehr selten sind es Wunder auf welche Wanderfrau & Wandermann gerne verzichten würden.
Der Straßenbelag und Dornenland sind solche verzichtbaren türkischen Wundertüten. Der Belag ist, besonders auf den Nebenstrecken, meist ein Kiesel- Teergemisch. Bei bis zu 40 Grad verflüssigt sich zum Leidwesen unserer Latschen und Wägelchen der Teer. Es ist dann immer eine recht klebrige Angelegenheit. Auch Smily und Toyota stöhnen bei diesen Bedingungen oftmals arg. Gi stöhnt auch, denn sie braucht in der Zwischenzeit das 3. Paar Latschen, eigentlich ja kein Wunder.
Abseits der Straßen ist leider meist Dornenland angesagt. Ich könnte heulen, glaubt es mir, denn Löcher flicken gehört zu meiner fast täglichen Arbeit. Nach 17:5 Löcher für Smily, ist nun der Stand 22:19 für Toyota. Es gibt auch einen Spitzenlochtag. 7 Dornenlöcher flicke ich unter unvorstellbaren Flüchen. Ich hasse Dornenland. Nach über 2000 Wanderkilometer erfolgt notgedrungen auch ein Boxenstopp für Toyota. Diesen führe ich selbst aus. Toyota bekommt auch seine Breitreifen. Beim Boxenstopp stelle ich weitere Krankheiten fest. Die Radlager von Smily & Toyota haben sehr viel Spiel bekommen. Keine Ahnung, ob es noch lange gut geht?
Nun aber genug der Flucherei, denn zwischen den Flüchen, dem ewig fliesenden Schweiß, dem schwimmenden Asphalt, gibt es die vielen Momente der Ruhe, der Besinnlichkeit und der überaus herzlichen Gastfreundschaft. Besonders auf der Strecke von Izmir nach Pammukale erschlägt uns fast diese Gastfreundschaft.
Die Strecke bis Pamukkale zieht sich durch weite Tiefebenen, kleinere Anstiege, dabei immer gesäumt von hohen Bergen in der Ferne. Hier arbeiten viele Menschen in der Landwirtschaft. Sie ist sozusagen ihr täglich Brot. Obst ist die Zauberformel. Weintraubenplantagen soweit das Auge reicht. Melonen liegen wie grüne Kanonenkugeln bis zu fernen Bergen. Das feurige Rot der Tomaten sorgt für Abwechslung. Leider ist die Kirschenerntezeit schon Wochen vorbei.
Der gemeine Wagenschieber könnte nun denken, hier kann ich ja täglich selbst ernten. Die Gastlichkeit der Türken hilft uns ungemein, den verführerischen Mundraubgedanken schnell zu vergessen, denn täglich werden wir beschenkt, reichlich beschenkt. Es kommen Tage der Geschenkeablehnung, denn im Bauch von Smily & Toyota häufen sich Gurken, Tomaten und Weintrauben. Manchmal sind auch Feigen dabei. Wir schauen erst immer nach, was gerade ausgegangen ist. Komfortabel! Der Nachteil? Unser Blut wird zu Weintraubenblut, zu Tomatensaft oder grünlich wie Gurkensalat.
Die zusätzlichen Einladungen zum Tee können wir nicht zählen. Bis Mittag sind es schon immer viele. Auch da sind wir gezwungen abzulehnen, denn ständige Pinkelpausen ließen uns nicht vorwärtskommen. Teepause, eine Melone verschlingen, bedeutet auch immer lange Gespräche. Wir haben die Qual der Wahl.
Wir bekommen auch Einladungen zu Übernachtungen. Wir nehmen an, wir lehnen ab. Warum ablehnen? Wenn man 30 bis 40 Kilometer in den Beinen hat, gibt es am Abend nur noch zwei Gedanken. Welches Obst oder Gemüse essen wir? Und danach gleich ins Zeltbettchen. Auf Unterhaltung bis tief in die Nacht besteht da meist wenig Bedarf.
Nehmen wir an, sind dies zumeist prägende Eindrücke, denn Abendessen mit der Familie ist Pflicht. Neben Reis, Nudeln oder kräftiger Suppen mit viel Brot, gibt es natürlich auch Gurken, Tomaten, Melonen und Weintrauben, meist alles aus eigenen Anbau. Wir bekommen etwas vom Leben der Bauernfamilien mit, ziehen gedanklich den Hut. Sie versuchen zu verstehen, warum wir mit zwei Wägelchen durch ihre Gegend ziehen? Wir stehen immer mit Sonnenaufgang auf. Die Einlader sind da meist schon ein, zwei Stunden auf den Beinen, versorgen das Vieh oder richten unser gemeinsames Frühstück. Der Abschied fällt schwer, denn wir haben uns gedanklich angenähert, mögen uns.
Wir selbst haben ein Gesprächsthema für den nächsten Wandertag. Einig sind wir uns dabei immer zum Schluss, Bauern möchten wir nicht sein, kein Feldmäuse, lieber Stadtmäuse. Das Leben ist unglaublich hart. Einig sind wir uns auch über einen Silberberg am fernen Horizont. Das muss Pamukkale sein, sind unsere Gedanken.
Nach bisher insgesamt 2306 Wanderkilometer laufen wir, ich humple mehr, in Pamukale ein. Warum ich humple und was Pamukkale uns gibt, erzähle ich im nächsten Teil zur Türkei.
Bis dahin,
viele Grüße,
von Wi, Gi, Smily & Toyota
aktueller Stand: 12. August 2014
Pamukkale ist der landschaftliche Hammer. Der ``Baumwollberg`` beherrscht einfach alle & alles, nämlich die Touristen, die Einheimischen und natürlich auch uns Wagelschieber. Wir erholen uns hier. Dafür ist Pamukkale nämlich wie geschaffen, denn die Infrastruktur lässt nichts vermissen. Gutes Essen, Hotels von 0 bis 5 Sterne, Heilquellen und die landschaftliche Märchenwelt der Sinterterrassen sorgen für rundum Wohlfühlgefühl. Apropos Gefühle! Im rechten Fuß habe ich seit Tagen Schmerzen in der Ferse. Deswegen bin ich sozusagen ins Wohlfühlparadies gehumpelt. Wahrscheinlich eine Sehnenentzündung. Damit aber nicht genug. Der linke Fuß macht schon länger Probleme. Noch in Griechenland bin ich ausgerutscht (Wasserlache auf Marmor von einer verdammten Klimaanlage), habe dabei viele Sternchen gesehen und dachte mir nach den vielen Sternchen, jetzt fehlt garantiert mein linker Zeigefinger-zeh. Er, also der Zeh, war aber wirklich noch dran. Hatte ich so nicht erwartet. Die Heilquellen und Sinterterrassen versprechen ja Heilung, wenn nicht, dann zumindest Linderung. Also sind die Quellen und Sinterterrassen Pflichtprogramm für meine Ferse und meinen Zeigefinger-zeh. Ich humple zu den Terrassen. Ich humple zu den Heilquellen. Leider humple ich auch zurück.
Gi hat wie sooft eine Idee. Sehr gerne spielt sie Ärztin. Drei Abende werde ich ernsthaft behandelt. Sie kauft eine Flasche Babyöl, reibt damit meine Füße reichlich ein und steckt sie in gemeine Plastiktüten. Dort müssen sie lange, lange verweilen, köcheln. Kurz vor der völligen Fußölauflösung werde ich immer befreit. Ja, was soll ich nun schreiben, Frauen haben nicht immer Recht, doch in diesem Fall setzt die Linderung ein, die Besserung folgt und Gi hat mit der Aussage, wir Männer sind halt doch manchmal noch Babys, wenn es um Schmerzen geht, recht! Mir kann es auch recht sein mit meinen Babywanderfüßen, denn die nächsten Wanderkilometer, Wandertage ab Pamukkale, führen uns rauf zu den großen Seen immer Richtung Konya. Zum Glück sind die Anstiege auf ca. 1000 Meter Höhe nicht so arg steil.
Die Landschaft ändert sich mit der Höhe. Weite Felder und Plantagen begleiten uns täglich. Wir durchqueren die Pfirsichregion. Ein Mann will uns einen ganzen Eimer voll davon schenken. Auch in der Höhe sind die Menschen halt sehr gastfreundlich. Nach der Rosenstadt Isparta (1049m hoch) erblicken wir den wirklich ersten großen See. Dem Egidirsee folgen wir auf vielen Kilometern. Apfelbäume wechseln da mit Pfirsichbäumen. Äpfel und deren Saft füllen nun unsere Taschen und Flaschen. Am Beysehirsee (1122m) folgt uns ein Auto der Jendarmen. Auch sie laden uns ein in ihre grüne Polizeioase am See. Zur Abwechslung gibt es neben Tee auch reichlich Aprikosen sowie eine nette Unterhaltung über das Verhältnis (politisch gemeint) von Merkel und Erdogan. Wir können zwischen Aprikosen, Tee und dem Verhältnis viel lachen. Und wir lernen, dass die Kerne der Aprikosen, aufgeschlagen und dann geröstet, wie Mandeln schmecken. Die Jendarmen wollen uns bis zur Stadt Beysehir fahren. Doch wir lehnen ab, nächtigen im Zelt, nahe am See.
Kurz vor Beysehir stöhnt Smily kurz auf, sackt nach vorne ab und ist nicht mehr zu bewegen. Oh mein Gott, Smily ist erledigt, denke ich. Gemeinsam schauen wir uns Smily an. Die Radaufhängung vom Vorderrad ist gerissen. Wir verladen Smilys Bauchinhalt auf Toyota und Gis Rücken. Wie Kriegsheimkehrer marschieren wir in Beysehir ein. Ein Zimmer, und noch wichtiger, eine Werkstatt für Smily, sind schnell gefunden. Die Schweiß-OP dauert nur wenige Minuten, kostet 1,80 Euro und alle können wir wieder lächeln.
Wir erholen uns vom Smilykracher während einer Schifftour auf dem See. Beysehir ist ein sehr angenehmes Städtchen. Überhaupt gefallen uns fast alle Städte entlang unserer Route. Jede hat irgendwie was besonderes. Wir treffen fast nur auf türkische Touristen. Sie wissen halt wo es in ihrem Land am schönsten ist. Am Abend gilt Smily unsere ganze Aufmerksamkeit. Seine Verletzung bandagieren wir zusätzlich mit Klebeband. Wir hoffen er hält weiter durch!
Nach nun insgesamt 110 Wandertagen und 2571 Wanderkilometern, treffen wir in Konya ein. Die Millionenstadt ist berühmt für ihre tanzenden, sich ständig im Kreis drehenden Derwische (muslimische Ordensgemeinschaft, auch Sufis genannt). Natürlich wollen wir sie sehen. Im Basarviertel suchen wir uns ein Zimmer. Den Derwischen gleich, kreiseln wir ständig durchs Basarviertel, besuchen auch das Mausoleum von Merlana und tigern durch viele Parks, Moscheen und, und ...
Die Stadt ist einfach herrlich, denn sie ist wie für Wagelschieber erschaffen. Da hier fast nur türkische Touristen unterwegs sind, sind somit die Preise noch okay, das Essen ist somit auch zu 100 Prozent türkisch (einfach lecker), die Gastfreundschaft ist nicht gespielt und man staune, vieles ist sogar frei. Am Mausoleum z.B. gibt es kostenlose Getränke. Ob Tee, Kaffee, Wasser oder Fruchtsäfte, Mann/Frau/Kind können trinken bis das Bäuchlein platzt. Bei täglich 35 bis 40 Grad im Schatten, besuchen auch wir die Füllstation öfters. Gedanklich schreiben wir dabei immer Lobesbriefe an die örtliche Presse, für den Bürgermeister/in, den Stadtrat usw. Der Oberhammer folgt aber beim Derwischabendprogramm. Hier suchen wir die Eintrittskasse. Es gibt keine! Im großen Park- und Hallenkomplex drehen allabendlich die Derwische kostenlos ihre überwältigenden Kreisel. Die Vorführung ist Spitze. Mit über 1000 begeisterten Zuschauern geben wir uns den Klängen der Musik, den mystischen Bewegungen der Derwische und den wohltuenden Gerüchen hin.
Konya ist für uns eine Perle in der Türkei. Doch auch Perlen können Schatten haben. Abseits der belebten Straßen sehen wir einen Jungen. Wir laufen vorbei. Doch wie auf Kommando drehen wir um. Wir denken das gleiche, vermuten, mit dem Jungen stimmt was nicht! Er wirkt so abwesend, so traurig, auch irgendwie undurchschaubar. Gi versucht auf türkisch eine Unterhaltung. Der Junge zeigt keine Regung. Sie versucht es auf Arabisch. Er reagiert plötzlich. Arabisch ist seine Muttersprache. Er erzählt uns kurz seine Geschichte. In Syrien hat er seine Eltern verloren. Mit anderen Syrern ist er in die Türkei geflüchtet und versucht nun, mit seiner Waage, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Wir muntern den Jungen etwas auf. Ein leichtes lächeln huscht über seine Wangen.
Aus Spaß hüpfe ich öfters auf seine Waage. Dabei leuchtet immer die 75 auf. Bei jeder 75 bezahle ich. Die Mahlzeiten der nächsten Tage sind somit gesichert. Die Stadt hat uns positiv überrascht. Wir überraschen den Jungen. Noch lange bleibt der Kleine in unseren Köpfen. Wie klein sind doch unsere täglichen Sorgen. Fußprobleme, Smilybeinbruch und weiteres sind heilbar, sind eigentlich keine Probleme. Was wir uns aber selbst fragen, ist eine gebrochene Seele heilbar?
Wir verlassen Konya Richtung Kappadokien. Auf diese Strecke freuen wir uns besonders, denn es wird ein Teil der Seidenstraße sein. Dies bedeutet, wir werden entlang der alten Karawanenrouten laufen, hoffen dabei auf Zeltnächte an Karawansereien, sternklaren Nächten und weniger Hitze. Wir hoffen auch, Smily bleibt stark. Ob alles so sein wird? Davon berichte ich im nächsten Teil.
Bis dahin liebe Grüße,
Wi, Gi, Smily + Toyota
Aktueller Stand nach 110 Tagen = 2571 Wanderkilometer am 23.08.2014
Auf der Seidenstraßenroute umgibt uns täglich viel Einsamkeit. Nur selten ist ein Dorf am Wegesrand zu sehen. Die Dörfer sind meist nur am Bergesrand weit in der Ferne erkennbar. Ein Minarett und die Farbe Grün verraten ihr Leben. Wir folgen oft den Dorfquerverbindungen, kaufen dort unsere Verpflegung. Wasser füllen wir an den Moscheen auf. Wir fühlen uns dabei irgendwie wie eine Minikaravane. Smily und Toyota sind dabei unsere Kamele. Ich bin natürlich der Karawanenführer. Führe dabei sehr stolz unsere Karawane durch karges Land, leichte Hügel, über unbearbeitete Felder, Stoppelpisten, geteerte Pisten und verschlungene Dorfwege.
Manchmal müssen wir fragen. Karawanenführer können auch nicht alles, deshalb ist dies Gis Aufgabe. So finden wir die verborgenen, von den meisten Türkei-Touristen immer noch unberührten, Karawansereien. 30 bis 40 Kilometer ist der Abstand zwischen den Karawansereien. Dies hat seinen Grund, denn die Tagesleistung war für die Karawanen auf 30, maximal 40 Kilometer begrenzt. Uns kann es recht so sein, denn auch unsere Tagesleistungen liegen in diesen Bereichen.
Die Karawanserei von Obruk zählt für uns zu den schönsten. Das besondere hier? Eigentlich nicht unbedingt die Karawanserei. Die Lage ist es! Sie liegt an einer Einsturzdoline. Der kreisrunde See (200 m im Durchschnitt) ist 140 m tief. Vom Einsturzrand schaut man 35 m runter auf die Spiegelseefläche. Im Dorf Obruk selbst leben nur noch wenige Menschen. Die meisten Häuser sind verlassen. Zum Glück haben wir genug Vorräte in den Wägelchen. So köcheln wir am Abend auf dem kleinen Lagerfeuer unser Abendessen, genießen die Ruhe und geben uns den schönen Launen der Natur hin. Pünktlich zum Sonnenuntergang kommen alle Dolinenbewohner. Es sind hunderte von wilden Tauben, kleine Vögel, große Vögel und die in Anatolien viel verbreiteten wilden Hunde. Zum Glück sind die Hunde diesmal recht klein. Einer ist unser Gast. Wir füttern ihm unsere Reste.
Die Karawanserei Agzikara liegt auch abseits der Hauptstraße. Doch auch hier lohnt sich der Weg. Das Dorf liegt zauberhaft zwischen viel grün, nur wenige Häuser sind verlassen und der Karawansereibewacher ist ein überaus netter Typ.
Er zeigt uns sofort, wo wir unser Zelt aufbauen können. Kaum aufgebaut, folgt die Einladung zum Tee. Nur wenige Touristen besuchen Agzikara, erzählt er uns. Dabei gibt es sogar für die Besucher ein Toilettenhäuschen. Und man staune, sogar eine super Heißwasserdusche ist da eingebaut. Wir staunen nur noch.
Kurz vor Sonnenuntergang durchstreifen wir alleine die Karawanserei. Sie ist mächtig mit ihren dicken Mauern, großen Räumen, versteckten Plätzen und verwinkelten Gewölben. Wir stellen uns vor, wie muss es hier vor 700 Jahren gewesen sein?
Ich erkläre Gi, stelle dir nur vor, es zieht gerade eine Karawane ein. Hundert Kamele und die Treiber wollen versorgt werden. Es gab hier eine Großküche, Schlafplätze, Tierärzte, ein Badehaus, natürlich eine Moschee, Schmiedewerkstätten, Brunnen und auch einen Basar. Hier wurde verkauft, gehandelt, Steuern bezahlt, gegessen, getrunken, bestraft, repariert, sicherlich auch betrogen und geschwindelt. Gi stellt fest, jetzt fehlen nur noch die Gerüche, die Geräusche und das Rufen des Muezzin. Die Geräusche und Gerüche müssen wir uns vorstellen, doch der Muezzin ruft vom nahen Dorf.
Als wir an unserem Nachtlagerplatz zurück sind, staunen wir wieder. Vor unserem Zelt liegen 2 gekochte Eier, Weintrauben und ein Brot.
Knapp 60 Kilometer vor dem Zentrum von Kappadokien, der verwunschenen Ortschaft Göreme, bricht Smily erneut zusammen. Wir können es kaum fassen. Die geschweißte Radaufhängung ist wieder gebrochen.
Zwei Tagesmärsche bis Göreme will Gi die Last auf die Hinterräder wuchten. Irgendwie funktioniert die Notlösung zu Beginn. Es funktioniert sogar so gut, dass wir die Aufhängung am zweiten Tag ganz entfernen. Sie hängt eh irgendwie fast lose am Wägelchen. Natürlich drückt nun die ganze Last auf beide Hinterräder und somit ohne Gnade auf die Lager. Wir machen uns aber keinen großen Kopf, denn erst in Göreme wollen wir überlegen, wie wir unsere Tour weiter gestalten werden. Kappadokien war im Kopf eines unserer Wunsch-Wanderziele für den Herbst während dieser Tour. Uns war vorher klar, wenn wir Göreme nicht erreichen, dann soll es eben so sein, doch nur 2 Tagesmärsche vorher aufgeben, wäre natürlich auch ein Unding.
Nach 125 Wandertagen kommen wir in Göreme an. 2829 Wanderkilometer liegen hinter uns. Wir schwitzen noch immer, fühlen uns auch etwas müde, machen uns Sorgen um Smily und freuen uns doch unglaublich über unser erreichtes Wunschziel, dem Ortseingang der weltbekannten Ortschaft Göreme. Wir wollen natürlich einige Tage bleiben, das Märchenlandschaftsgebiet erwandern, bestaunen und auch ablichten. Auch wollen wir Smily reparieren oder beerdigen, gut essen, täglich reichlich duschen und, und …
Was tatsächlich sein wird, erzähle ich im nächsten Teil.
Bis dahin,
liebe Grüße,
Wi, Gi, Smily & Toyota
Die Märchenlandschaft um Göreme liegt verwunschen im Zentrum von Kappadokien. Dieses Gebiet ist eines der interessantesten und zudem auch schönsten der ganzen Türkei. Wir haben schon viele Landschaftsformen weltweit erleben dürfen, die Tuffsteinwelt von Kappadokien gehört unbestritten zu den schönsten. Göreme, im Zentrum all dieser von der Natur und auch Menschenhand erschaffenen Traumwelt, wählen wir deshalb für einige Tage zu unserem Wander- und Ausflugssitz. Unsere auserwählte Unterkunft ist ein Volltreffer, denn nach unserer Karawanenwanderroute umgibt uns ungewohnter Minikarawanenluxus.
Diesen genießen wir in der Regel täglich aber erst am späten Nachmittag bis zum nächsten Morgen. Die vielen Stunden dazwischen, verbringen wir mit ausgedehnten Wanderungen. Zum Glück haben wir eine Wanderkarte, welche uns täglich neue Wandermöglichkeiten offenbart.
Kappadokien zählt zu den Haupttouristengebieten in der Türkei. Dementsprechend sind viele Touristen unterwegs. Diese trifft man in geballter Form aber nur an den Hauptattraktionen wie den Felsenkirchen von Göreme, dem Open Air Museum von Zelve, den Aussichtspunkten in die Täler und Schluchten, und den rummeligen Hauptplätzen der vielen kleinen Ortschaften. Zum Glück haben wir den Luxus der Zeit, brauchen keinen Bus und keinen Führer der uns von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit fährt, im Schnelldurchlauf durch die Sehenswürdigkeiten dirigiert.
Unsere täglichen Wanderungen sind zwischen 15 und 25 Kilometer lang. Unsere Begleiter sind Trinkwasser, Sonnencreme, Kekse und viel kindliche Neugier für die verwunschenen Pfade. Bezaubernd sind all diese Wanderungen, auch wenn jede irgendwie anders traumhaft erscheint.
Wir müssen durch manchen Tunnel gehen, um zu versteckten Kirchen zu gelangen. Manchen Tunnel hat die Natur erschaffen, mancher entstand durch Menschenhand. Der Tuffstein ist recht leicht zu bearbeiten, denn er ist sehr weich und somit leicht zu behauen, leicht auszuhöhlen. Durch Erosion entstand die bizarre, einzigartige Landschaft. Das Gebiet wurde schon früh besiedelt. Menschenhand veränderte somit auch die Landschaft. Die berühmte Seidenstraße führte hier durch. Alexander zog mit seinen Soldaten durch diese Landschaft. Viele Jahrhunderte war sie eine Hochburg des Christentum. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten Höhlenkirchen. Ihre Anzahl soll in Kappadokien über 3000 betragen.
Die Tuffsteinformationen wurden und werden auch zu Wohnzwecken genutzt. Damals dienten diese Höhlenwohnungen als Schutz gegen die durchziehenden Armeen. Es gibt sogar unterirdische Städte. Heute gibt es so manches Höhlenhotel im Tuffstein, manches Restaurant fand dort seinen Platz, vereinzelt dürfen auch Tiere dort wohnen. Die Wandertage sind Tage der Ruhe und Entspannung. Wir genießen die Feenkamine, die unterschiedlichsten Landschaften, die Sonnenauf – und Untergänge.
Wir sind nicht nur begeistert vom kappadokischen Märchenwanderland, auch ist unsere allabendliche Unterhaltung tiefsinnig sehenswert. Unser Hotel entpuppt sich als beliebtes Hochzeitshotel. An drei Abenden hintereinander schauen wir türkische Hochzeit. Das schöne dabei? Jede Hochzeit ist vom Ablauf her anders gestaltet. Die erste ist sehr konservativ. Alle Frauen tragen Kopftuch. Der Imam hat hier absolut die Hoheit. Koransprüche schweben durch die laue Luft. Die zweite Hochzeit ist eine Mischung aus konservativ und modern. Die Hälfte der Frauen zeigt offenes Haar. Nur kurz surren die Koransprüche durch die Luft. Es wird viel getanzt und gelacht. Die dritte Hochzeit ist für türkische Verhältnisse ausgesprochen modern. Kaum eine Frau trägt Kopftuch. Neben dem Brautpaar, steht die Band im Mittelpunkt. Stundenlang wird ausgelassen getanzt, auch viel Raki (hochprozentiger Schnaps) und Bier getrunken.
Das interessante für mich? Die Türkei ist kein Wunderland! Sie ist einfach nur sehr wunderbar vielfältig. Die Vielfältigkeit der religiösen Ausrichtungen begegnet einem da täglich. Hinzu kommt die Vielfältigkeit landschaftlicher Schönheiten, gepaart mit sehr gastfreundlichen Menschen. Was ich hoffe, es mag alles so friedlich in der Zukunft bleiben.
Nach langen Überlegungen beerdigen wir Smily in Göreme schweren Herzens. Neben dem Problem Vorderrad, hat auch der Alurahmen weitere Risse und die Radlager sind zudem kaputt. Alles traurig aber wahr.Wir beschließen auch, vorerst in Göreme unsere Langzeitwanderung zu unterbrechen. Winterpause ist angesagt. Schon vor Monaten war uns klar, sollten wir es bis in die Türkei schaffen, dann werden wir auf keinen Fall über die Wintermonate durch Kurdistan in den Iran unterwegs sein können, sein wollen, denn schon im frühen Herbst fällt dort in den Bergen Schnee.
Unsere theoretische Planung: Winterpause bedeutet nicht, dass wir in einer warmen Höhle für viele Monate schlafen werden. Wir wollen in wärmeren Regionen unterwegs sein. Dies allerdings nicht nur Wägelchen schiebend. Je nach Land und Region soll es per Flug, per Bus, per Zug, per Anhalter, per Auto und natürlich auch Wägelchen schiebend weiter gehen. Im Frühjahr 2015 wollen wir zurück nach Kappadokien um die Tour Richtung Iran fortzusetzen. Wir hoffen wir bleiben gesund.
Natürlich werde ich über unsere weitere Winterpausen - Tour berichten. Schaut einfach bei Interesse wieder unter Neues Abenteuer.
Um es für Toyota gewichtsmäßig verträglich zu gestalten, durchforsten wir unseren Haushalt. Wir sortieren aus, wir specken ab. Auch befestigen wir Smily symbolisch neben seinem großen Bruder. Gemeinsam verlassen wir so schiebend Göreme.
Wie es weiter geht, werde ich in den Winterpausenberichten erzählen.
Etwas Zahlensalat zur Langzeitwanderung von Sonneberg / Thüringen bis Göreme / Kappadokien
Stand: 12. September 2014
Gesamtwandertage: 130 Tage
Gesamtwanderkilometer: ca. 2.830
davon in:
Deutschland ca. 510
Österreich ca. 260
Italien ca. 310 (Fähre von Triest nach Durres in Albanien)
Albanien ca. 320
Griechenland ca. 560 (Fähre von Piräus nach Cesme in der Türkei)
Türkei: ca. 870
Bis zum nächsten Bericht,
viele Grüße von,
Wi + Gi